Gesanglichkeit Rhythmik

Antagonisten: 1. Gesangliche Passagen und 2. Figurative Passagen

Wichtig für die Interpretation eines Werkes ist, zwischen gesanglichen Passagen und figurativen Passagen  (die immer rhythmischer Natur sind) zu unterscheiden.

 

Erhellend ist hier der Artikel von Richard Wagner über das Dirigieren:

„…Ich ersah hieraus, wie unsicher es mit der Mathematik in der Musik stehen müsse, und ließ fortan
nicht nur den Metronomen aus, sondern begnügte mich auch für Angebung der Hauptzeitmaße mit sehr
allgemeinen Bezeichnungen, meine Sorgfalt einzig den Modifikationen dieser Zeitmaße zuwendend…"

 

„Offenbar kann das richtige Zeitmaß nur nach dem Charakter des besonderen Vortrages eines
Musikstückes bestimmt werden; um jenes zu bestimmen, müssen wir über diesen einig sein: die
Erfordernisse des Vortrages, ob er vorwiegend dem gehaltenen Tone (dem Gesänge), oder der
rhythmischen Bewegung (der Figuration) sich zuneigt, diese haben den Dirigenten dafür zu bestimmen,
welche Eigentümlichkeiten des Tempos er vorwiegend zur Geltung zu bringen hat. Hier steht nun das
Adagio dem Allegro gegenüber, wie der gehaltene Ton der figurierten Bewegung. Dem Tempo adagio gibt
der gehaltene Ton das Gesetz; hier zerfließt der Rhythmus in das sich selbst angehörende, sich
allein genügende reine Tonleben. In einem gewissen zarten Sinne kann man vom reinen Adagio sagen,
dass es nicht langsam genug genommen werden kann : hier muss ein schwelgerisches Vertrauen in die
überzeugende Sicherheit der reinen Tonsprache herrschen: hier wird der languor der Empfindung zum
Entzücken; was im Allegro der Wechsel der Figuration ausdrückte, sagt sich hier durch die unendliche
Mannigfaltigkeit des flektierten Tones; der mindeste Harmoniewechsel wirkt hierbei überraschend, wie
die fernsten Fortschreitungen durch die stets gespannte Empfindung als erwartet vorbereitet werden."

 

(8) Richard Wagner, Über das Dirigieren 1869, aus Schriften der Münchener Zeit